PRESSE

Globe M | Donnerstag 14. Oktober 2010 | http://www.globe-m.de/

Grenzenlose Dimensionen - Junge Künstler in Bremen

Von Christian T. Schön

Beinah hätte mir das Seil den Kopf abgerissen, als sich der Blick auf eine Plastikfolie richtete, die der Wind aufblähte. Der Hafen kann eine gefährliche Gegend sein, aber doch nicht hier in diesem stillgelegten Areal! In Bremen im Schuppen 1 stellen über zwanzig junge Künstler und Künstlerinnen ihre neusten Arbeiten aus. Das Seil hat Kate Newby aufgespannt. Es führt hoch zum Dach und über eine Luke ins Innere der riesigen aufgelassenen Lagerhalle. Auf jeder Seite hängt ein Schal, wie zum Trocknen.

Arbeiten am Fluß

Der Ort, weit draußen im Bremer Hafen gelegen, ist unwirtlich. Kaum Fahrzeuge auf der Straße, der Schuppen 1 sieht leer und heruntergekommen aus. Nur das unwirkliche Seil und die wehenden Plastikfolien weisen auf seine künstlerische Umfunktionierung hin. Initiiert wurde die Ausstellung »Klondike River«, um das ehemalige Hafengebiet aus künstlerischer Sicht neu zu bewerten und neu betrachten zu lassen. Für die ausgewählten Künstler aus Bremen, Berlin, Rotterdam und Auckland/Australien und einige Studierenden der Bremer Hochschule für Künste (HfK) ist »Klondike River« die Möglichkeit, in beinah grenzenlosen Dimensionen Kunstwerke herzustellen und zu zeigen. Platz ist in der Halle genug für Videoleinwände, massige Holzbalken, Schränke, Tische, Gestühl, Seile und Podeste. Der kleinste Ton wird in der kargen unzerstörbare Betonarchitektur zum Getöse. Und wer will, konnte sein Material in und um die Halle zusammensuchen.

Schwummriger Zusammenhalt

Philipp Schneider hat einen Minigolf-Parcours aus Fundstücken zusammengezimmert. Daniel Wimmer hat sich einen temporären Arbeitsplatz mit mehreren Schreibtischen einrichten lassen (»Wir sind viele und wir werden mehr«). Andreas Bernhardt hat die »gelebten und konstruierten Wirklichkeiten« der Hafenwachdienstmitarbeiterin Gertrud Richter auf Tischen ausgebreitet: Rentenbescheide, Bahncard, Fotos, Briefe. Christian Haake fand Platz für eine überdimensionierte Palette und gab dem Besucher den Blick nach oben frei, ins obere unzugängliche Lagergeschoss, nur um ihn dort einen Grabstein erblicken zu lassen – von unten, wohlgemerkt. Malte Schweiger läßt aus neun Metern Höhe Flusssand in die Halle rieseln. Eine Aktion, die zwei Wochen dauern soll.
Die Atmosphäre ist besonders am Abend schummrig und kontemplativ (Öffnungszeiten unter der Woche: 17-22 Uhr). Das Videoflimmern hält die Gruppenausstellung in dem schier endlosen Raum zusammen, der nur von fetten Betonpfeilern unterbrochen wird. Ansonsten kann der Besucher großzügig seiner Nase nachwandeln. Wie so häufig bei Ausstellungen in Out-of-City-Areas gewinnt der Betrachter jedoch mehr durch das Erlebnis des Raums an sich als durch die Ausstellung: die Fahrt hinaus in den Hafen, vorbei an Brachland und Baugerüsten – und die Halle an sich, ihre dunklen Ecken, die abgesperrten Bereiche, die Ruine einer vergangenen Epoche.
Es lohnt sich aber, sich den ein oder anderen Namen zu merken, weil die Studierenden der HFK sicherlich bald in der Nähe Neues zeigen werden: Die Hochschule liegt nur ein paar Meter vom Schuppen 1 entfernt: am Speicher XI.

Nordwestradio Journal | Nordwestradio, Montag, 11. Oktober 2010

Ausstellung Klondike River

Von Esther Willbrandt

Es ist alles ein bisschen provisorisch, im Schuppen 1 in der Bremer Überseestadt: Der Boden ist staubig und voller Löcher, Licht und Strom mussten erst noch gelegt werden. Ein Experimentierfeld für 27 Künstlerinnen und Künstler: Im Rahmen der Ausstellung "Klondike River" präsentieren sie hier Skulpturen, Videos und Performances. Gemeinsames Thema: Die Überseestadt als ein Quartier im Wandel, mit unbekanntem Ausgang: Wohin geht die Reise? Esther Willbrandt hat für das Nordwestradio in der Ausstellung nach Antworten gesucht.

 

Bremer Anzeiger | Kultur | Sonntag 10. Oktober 2010

Goldrausch in der Uberseestadt

Das Projekt "Klondike River" präsentiert Kunst, Musik, Vorträge und Performances im Schuppen 1

Von Antje Wilken

BREMEN. Bei der Pressekonferenz zur Ausstellung sitzen die Vertreter an einem mit dicken grauen Decken verhüllten Tisch mitten im riesigen Schuppen 1. Im ehemaligen Lagerhaus am Europahafen können Besucher in den nächsten zwei Wochen nach Gold graben - rein künstlerisch gesehen. Grauer Betonboden, schmuddelig-weiße Wände, der Geruch von Staub und Metall liegt in der Luft: Der Schuppen 1 verströmt den geballten Charme einer Industriebrache. 21 Künstler - teils Studierende der Hochschule, teils internationale Gäste - haben sich vom 20.000 Quadratmeter großen Areal inspirieren lassen und es in eine riesige Ausstellungsfläche verwandelt. "Wir sind kein Museum mit weißen Wänden, es wäre lächerlich, hier Malerei aufzuhängen", sagt Horst Griese von Treasure-Land, einer Initiative, die künstlerische Projekte insbesondere in der Überseestadt organisiert. So ist bei "Klondike River", das zusammen mit der Hochschule für Künste (HfK) veranstaltet wird, Kunst zu erleben, die als solche manchmal kaum auffällt.

Kunst aus dem Staubsauger

Zum Beispiel ist ein Seil quer durch den Raum gespannt. "Eine Installation der Neuseeländischen Künstlerin Kate Newby", erklärt Griese. Ihr geht es darum zu erfahren wie sich die Besucher zum Objekt verhalten." Arnold Schalks, künstlerisches Multitalent aus den Niederlanden, schnappte sich einen Staubsauger, saugte die riesige Fläche durch und füllte den Beutelinhalt in ein Mini-modell des Schuppens. Dazu hört man während der Schau die Staubsaugergeräusche vom Band. Überhaupt ist nicht nur Sehen, auch Hören angesagt: Aus der eine Ecke klingt Hämmern, aus der anderen ein fast unheimliches Rauschen - teils stammen die Laute vom Band als Bestandteil der Installationen, teilweise sind es jedoch auch "echte" Arbeitsgeräusche.

Installation mit Mehrwert

Der Tisch mit den grauen Decken entpuppt sich schließlich als Installation von Malte Schweiger (HfK): Fröstelnde Besucher können am unter dem Tisch versteckten Heizstrahler ihre Füße aufwärmen. So fragt sich der Besucher bald bei jedem herumliegenden Kabel, ob dies wohl zur Kunst gehört - was den Besuch von "Klondike River", benannt nach dem legenduaren Goldwäscherfluss, zu einer Schatzsuche der besonderen Art macht. Neben den Kunstwerken - viele werden von Videos begleitet - gibt es Vorträge und Konzerte: etwa vom Ensemble Weser Renaissance Bremen am Dienstag, 12. Oktober ab 20 Uhr, sowie von der Band The Canoe Man am Freitag 15. Oktober, ab 20 Uhr.

 

Weser Kurier, Samstag, 9. Oktober 2010

Kunst als Pioniergewächs

Projekt Klondike River: Im Schuppen 1 reflektieren 25 internationale Künstler den Aufbau der Überseestadt

Von Peter Groth

Bremen. Klondike River – dieser Name suggeriert Pioniergeist, Aufbruchsstimmung, Goldrausch. Klondike River ist auch der Titel eines großen Kunstprojekts, das heute an einem Ort eröffnet wird, der wie kein zweiter die Bremer Aufbruchstimmung spiegelt: in der Überseestadt, genauer im Schuppen 1 am Europahafen. Bis zum 23. Oktober zeigen dort 25 Künstler ihre Arbeiten.

Anfang Juli verwandelten Studierende der Hochschule für Künste das Kaba Werk mit ihrem Projekt „Horst“ in einen Ort der Kultur. Und nun ist es der nur wenige hundert Meter entfernte Schuppen 1 am Europahafen, der durch die Arbeiten von Studenten der Hochschule und von acht Künstlern aus aller Welt einer ungewöhnlichen Nutzung zugeführt wird. Während im vordere Teil dieses langgestreckten Lagerhauses schon die Bauarbeiter das Regiment übernommen haben, werkeln hinter dem Tor 123 Künstler verschiedener Disziplinen. Vor rund vier Monaten haben ihnen die neuen Eigentümer Daniel und Klaus Hornung eine immerhin 10.000 Quadratmeter große Halle überlassen, die sie nun vorübergehend nutzen können.

Keine dekorative Kunst

Die Federführung haben die Professoren Andree Korpys und Markus Löffler von der Hochschule für Künste sowie Achim Bitter und Horst Griese von der in der Zollabfertigung am Hansator ansässigen Gruppe Treasure-Land übernommen, die sich seit zwei Jahren mit dem Wandel in der Überseestadt beschäftigt. „Wir sehen in diesem rasch wachsenden Quartier einfach ein Problem: Häuser kann man mit Steinen bauen, das Leben in diesem Stadtteil aber nicht“, sagt Horst Griese. Also setzt man wie das international renommierte, auf Raumkonzepte spezialisierte Künstlerduo Korpys/Löffler auf eine künstlerische Reflexion dieser Entwicklung. Und nicht etwa auf die Dekoration prosperierender Geschäfte, wie Griese klarstellt. „Einer der Investoren hat uns mal gefragt, ob wir nicht eine Skulpturen-Allee kuratieren könnten. Das ist ein Missverständnis unseres Ansatzes.“
Folglich werden Kunstinteressierte, die das Projekt „Klondike River“ im Schuppen 1 besuchen wollen, auch keine dekorative Kunst, also etwa gemalte Bilder, in den rohen Hallen der dort früher tätigen Spedition Fiege finden. Nein, die 25 Künstler haben gemäß der Ausschreibung des Projektes vor Ort 21 Arbeiten entwickelt, die sich mit dem Thema „Umnutzung“ befassen.
Das geschieht nicht immer in einer Weise, die sich dem Betrachter sofort erschließt. Da zimmert etwa André Sassenroth aus der Gruppe Marnic Circus ein Floß mit rohen Aufbauten zusammen. Die Neuseeländerin Kate Newby, derzeit in der GAK-Galerie präsent, zog ein Seil quer durch die Halle, durch ein Loch in der Mauer weiter über einen Parkplatz und fesselt schließlich einen Busch vor dem Gebäude. Emese Kazár hat kleine weibliche Figuren aus am Ort gefundenen Materialien in einem Kreis, die „ Margerite-Formation“, aufgebaut. Weiten Raum nimmt eine ungewöhnliche Minigolf-Landschaft von Philipp Schneider ein, die wiederum aus vorgefundenen Materialien zusammengesetzt ist und bespielt werden kann - Schneider möchte auf den Gegensatz von minimalisierter Landschaft und monumentaler Architektur verweisen.
Diverse Videoinstallationen thematisieren die Raumsituation in der Überseestadt, die Position des Menschen und seine teils martialischen Eingriffe in das Quartier. Andreas Bernhardt erinnert mit seinen auf Tapeziertischen ausgebreiteten Materialien der Arbeit „Hafenwachdienst G. Richter“ an eine konkrete Person, die einst in diesem Areal arbeitete.
Viel Arbeit hat sich zudem der Rotterdamer Arnold Schalks gemacht: Über Tage hat er den Staub des Hallenfußbodens aufgesaugt und gesammelt, dann aus Beton einen Miniaturgrundriss nachgebaut. Dort sammelt er den Staub und wird ihn mit den Druckwellen aus einem Lautsprecher wieder aufwirbeln. Begleitet wird diese Ausstellung bis zum 23. Oktober von Konzerten des Ensembles Weser Renaissance und anderen Musikern, von Filmvorführungen und von Vorträgen. Erwartet werden unter anderem der Berliner Kunstkritiker Raimar Stange und der Vorsitzende des Hamburger Kunstvereins, Florian Waldvogel.

Das Projekt Klondike River wird heute um 19 Uhr eröffnet und ist bis 23. Oktober dienstags bis sonnabends von 17 bis 22 Uhr, sonntags von 15 bis 19 Uhr zugänglich.

Ein Video zur Ausstellung sehen Sie unter www.weser-kurier.de/bremen

 

Weser Kurier digital, online Artikel, Donnerstag, 7. Oktober 2010

"Klondike River" zeigt Kunst zum Mitmachen

Von Miriam Keilbach

Bremen - Über ein Jahr hat sich die Klasse "Raumkonzepte" der Hochschule für Künste Bremen mit dem Projekt "Klondike River" beschäftigt. Im Schuppen 1 in der Überseestadt ist die Ausstellung mit Skulpturen, Filmen, Aktionen, Musik und Vorträgen bis 23. Oktober zu sehen.

André Sassenroth baute ein Floß, das aus vielen Einzelteilen besteht, die nicht miteinander verbunden sind. Damit will er es bis nach Bremerhaven schaffen.
Gertrud Richter arbeitete einst im Hafenwachdienst des alten Überseehafens, den es heute nicht mehr gibt. Der Bremer Kunststudent Andreas Bernhardt hat ihren persönlichen Nachlass dazu genutzt, etwas über das Leben der Dame zu erzählen. Briefe, Glückwunschkarten, Versicherungspapiere – all das zeigt Bernhardt in der Ausstellung "Klondike River" im Schuppen 1. Es ist eines von 28 Kunstwerken von Kunststudenten und internationalen Künstlern, die von der Hochschule und Treasure-Land eingeladen wurden. abgesehen von ausgestellter Kunst haben sich auch Komponisten und Musiker zu Konzerten gemeldet, und Experten werden Vorträge halten.

Überseestadt als Stadtteil in Entwicklung

Das Ziel des Projektes sei es, die Überseestadt als Stadtteil, der noch kein Stadtteil ist, zu begreifen, sagt Horst Griese von Treasure-Land, der die Ausstellung organisierte. "Es passiert viel, aber das führt nicht notwendigerweise dazu, dass hier ein neuer Stadtteil entsteht", erklärt er. Auf rund 10.000 Quadratmetern sind 28 Kunstwerke von 21 Künstlern zu sehen. Der Großteil davon kommt von der Hochschule für Künste. "Wir wollten eine Mischung aus erfahrenen und jungen Künstlern, die an die Praxis herangeführt werden sollen", sagt Griese. Gefördert wird die Ausstellung vom Kulturressort, dem Bauressort, der Arbeitnehmerkammer und der Hochschule für Künste. Dafür wurde im Schuppen 1 alles umgebaut. "Als wir hier ankamen, gab es kein Strom und kein Licht. Das mussten wir alles installieren", erklärt Achim Bitter von Treasure-Land. "Wir wollten das Gebäude zum Leben bringen."
Das war gar nicht so einfach, denn der Schuppen 1 ist ein altes, leeres Gebäude. "Es juckte mich hier, überall war Staub", erzählt Arnold Schalks aus Rotterdam. Er ist einer jener internationalen Künstler. Sein Werk: 26 Stunden und 44 Minuten lang hat er auf über 6200 Quadratmetern Staub gesaugt. Der Staub wurde gesiebt und soll in ein nachgebautes Modell des Schuppens zurück gewirbelt werden.

Für eine Woche in die Überseestadt ziehen

Die Künstler, die von auswärts kamen, nisteten sich für eine Woche in der Überseestadt ein. Dort entwickelten sie das Konzept für ein neues Werk. Alle Künstler sollten sich für die Ausstellung mit einem neuen Kunstwerk beschäftigen und es speziell für "Klondike River" anfertigen. Kate Newby aus Neuseeland wollte in ihrem Werk das alltägliche Leben wiederspiegeln und spannte ein gelbes Seil quer durch den Schuppen 1 und nach draußen auf den Hof, "Try try again" nennt sie ihre Arbeit. Das Publikum soll zur Teilnahme angeregt werden: Indem sie das Seil berühren, darunter hindurch gehen oder hinüber steigen. "Klondike River" ist vom 7. bis 23. Oktober im Schuppen 1 in der Konsul-Smidt-Straße am Europahafen zu sehen. Die Ausstellung hat dienstags bis samstags von 17 bis 22 Uhr geöffnet und sonntags von 15 bis 19 Uhr. Zu den ungewöhnlichen Öffnungszeiten sagt Bitter: "Wir haben bewusst die Abendzeiten gewählt, die keine typischen Zeiten für Ausstellungen sind, weil die Kunstwerke erst dann wirken."